Meine Damen und Herren,
wenn sich heute das Künstlerpaar, präziser das Künstlerehepaar Iris und Werner von Boltenstern mit seinen Arbeiten vorstellt, darf ich zunächst daran erinnern, dass innerhalb der Kunstgeschichte unseres Jahrhunderts Künstlerpaare eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Es gibt da die tragischen Verbindungen, wo sich Schöpferisches an Schöpferischem rieb, wo Kreatives zu viel Einsamkeit verlangte, so dass die Bindungen schliesslich zerbrachen wie Kandinsky und Gabriele Münter oder zwischen Rilke und Klara Westhoff oder dass man erst nach äussersten Gefährdungen wieder zusammenfand, wie dies bei Modersohn und Paula Modersohn-Becker der Fall war, aber auf der anderen Seite wissen wir, dass Schöpferisches sich in Paarbeziehungen auch ergänzte wie bei Robert und Sonja Delaunay, bei Hans Arp und Sophie Täuber -Arp oder bei Karl Rössing und Erika Rössing. Gerade die Rössings, die ja bis 1960 in Stuttgart wohnten,lebten in sehr enger menschlicher und künstlerischer Verbundenheit, so dass mir Karl Rössing nach dem Tode seiner Frau schrieb : « In dieser Gemeinschaft war ich derjenige, der meiner Frau immer wieder neidlos versicherte, dass sie es sei, die es weitergebracht habe und dass ich mich glücklich dazu bekenne. Sie wehrte es ab, doch ihr Ernst, mit dem sie arbeitete, Bilder vernichtete und von neuem begann, gab mir recht und natürlich ihr. »
Auch unter den heute lebenden Künstlerpaaren kenne ich einige Verbindungen, die für beide förderlich sind, wie die Bildhauer Max Schmitz und Ingrid Dahn, aber immer, so scheint es mir, sind es Glücksfälle, selten genug. Ein ganz besonderer Glücksfall ist aber die Lebens-und Künstlergemeinschaft der Boltensterns, die sich durch den Bronzegiesser Herbert Heinzel vor nunmehr fast vierzig Jahren an der Stuttgarter Akademie kennenlernten und bald darauf – als mittellose junge Künstler – heirateten. In den kurzen Lebensberichten, die Iris und Werner von Boltenstern mir zusanden, spürte ich noch jetzt die Freude beider Künstler über ihre damalige lebensentscheidende Begegnung, das Glück darüber, dass einer den andern zu bestimmten Bereichen führen durfte : Iris von Boltenstern führte zur russischen Literatur, Werner von Boltenstern führte seine Frau an die Nordsee und nach Fanö, wo das Künstlerpaar seit drei Jahrzehnten die Urlaube verbringt. Gemeinsames Reservoir war von Anfang an die Musik im Bereich der deutschen und russischen Klassik. Zwei der drei Kinder der Boltensterns haben französische Partner geheiratet. Innerhalb der Familie wird also am europäischen Haus gebaut.
Gerade angesichts der ganz und gar unspektakulären, von Mode und Trends völlig unabhängigen Arbeiten, erschien es mir, meine Damen und Herren sinnvoll, etwas von den Lebensumständen der beiden Künstler darzustellen, denn Kunst bedingt sich nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich.
Iris und Werner von Boltenstern gehören einer Generation an, die durch die Not und die Schrecken des zweiten Weltkriegs gegangen ist. Das mag auch der Grund dafür sein, dasss ihre Werke, so unterschiedlich sie nach Medien und Form auch sind, Sehnsucht nach Frieden, Harmonie und Stille realisieren. Es ist eine Kunst von innen her, die sich im Gegenständlichen äussert. Man bekennt sich zum Einklang von Mensch und Natur, zum Leisen und Subtilen auch in der Freude. Man selektiert die Sichtbarkeit auf ihre humanen Qualitäten. Man verklärt nicht, aber man ist imstande Schönheit zu schauen und in Figur und Landschaft darzustellen.
Die Bildhauerin ist von ihrem Studium in München geprägt worden. Stuttgart war ihr zuerst eine Enttäuschung. Durch Herbert Heinzel, der eine Stelle als Bronzegiesserlehrer an der Akademie angenommen hatte, kam Iris von Boltenstern in diese Stadt. Auf dem Weisenhof merkte sie endgültig, dass ihr die Steinbildhauerei nicht lag. Und so konzentrierte sie sich auf die Arbeit mit Wachs, schuf damit ihre Formen, die Heinzel goss. Diese Teamarbeit, an der zunächst auch Werner von Boltenstern als Ziseleur seinen Anteil hatte, dauerte dreissig Jahre lang. Wichtig wurde das Aktzeichnen bei Prof. Alfred Lörcher, der in den fünfziger Jahren in seinen Mengenplastiken noch einmal in die bildhauerische Avant-garde vorstiess. Ein eigenes ausgeprägtes Gefühl für Volumen, Figuration und Abstraktion bewahrte sie vor allen Abhängigkeiten.
Wie man sieht, meine Damen und Herren, konzentriert sich Iris von Boltenstern vor allem auf Kleinplastiken. Das kleine Format ist ihr wie selbstverständlich zuhanden. Gruppen und Einzelfiguren bestimmen ihre künstlerische Thematik, fast stets am Beispiel von Frauen und Kindern. Neben den Stehenden oder Sitzenden in ihrer merkwürdigen Ausgeruhtheit, sind die Gesten zwischen Mutter und Kind zu beobachten. Alle Gestaltung vollzieht sich in einer sehr gefassten Formsprache, durch welche die Figuren vereinfacht werden. Naturalismus ist nicht gefragt, sondern Kunstwirklichkeit soll in konzentriertester…
zur Darstellung gelangen. Sprödes und Liebliches verschwistern sich. Die Bildhauerin ist zu formbewusst, um dem Sentimentalen Raum zu gewähren, deshalb haben die Figuren auch eine innere Monumentalität. Die Konzeption bleibt stimmig bis in die Strukturen der Bronzehaut hinein und bei den Gruppen bis in die Verspannungen von Volumen und Raum. Das Handwerkliche und das Künstlerische verbinden sich in lebensvollen Gestaltungen, die ebenso anmutig wie irdisch wie liebenswert sind.
Der bürgerliche Zuschnitt des Lebens, aus dem die Boltensterns ihre Kunst schufen und schaffen, wurde dadurch möglich, dass Werner von Boltenstern nach Beendigung seines Studiums, wobei unter anderen Hajek, Pfahler, Förch, Schreiner und Pollig Mitstudierende waren, als Kunsterzieher mit Nebenfach Englisch in den Schuldienst eintrat. Er hat diesen Entschluss, der auch manchen Verzicht in sich barg, nie bereut. Nach den Schrtecken der frühen Jahre – er war drei Jahre lang in Russland und wurde dreimal verwundet – suchte er Sicherheit, wenn ich es recht verstehe auch Geborgenheit, die er bei Frau und Familie fand.
Aus dieser Situation entwickelte er in grosser Stetigkeit sein kleinformatiges malerisches Werk, abseits von allem Kunstbetrieb. Es ist, wie man leicht erkennen kann, eigenwillig und gänzlich unverwechselbar. Die überlegte Handschrift eines sensitiven Malers wird sichtbar, der seine Liebe zur nördlichen Kühle und östlicher Weite offenkundig macht und als Kleinmeister des Aquarells ein Stück Zeitlosigkeit in seine Landschaftsmalerei einbringt. Auslöser und Gestaltungsanlass für seine Kunst sind die Reisen nach Dänemark und in die Sowjetunion. Und ich muss bekennen, dass ich von Anfang an zu diesen Bildern eine starke Beziehung hatte, vielleicht deeshalb, weil ich die russische Landschaft und ihre Menschen auch so mag wie der Künstler selbst. Licht des Nordens, so habe ich vor einem Jahrzehnt über Werner von Boltenstern geschrieben, aus dem Nebel überm flachen Land, über Flüssen und Dörfern herausgefiltert und einer feinnervigen Aquarellmalerei dienlich gemacht, bestimmt die Bilder. Und heute möchte ich hinzufügen : Die Weite der Wälder, die Unendlichkeit des Himmels, die Tiefe des Horizonts, die Lineaturen der Baumreihen im Mittel-und Vordergrund, diie winzig dargestellten Menschen und Reiter, auch in ihrer Vereinzelung, die entlegenen Gehöfte, die Boote, der Angler des stillen Tuns, Die Verwandlung alles bewegten in Ruhe, in Statisches sind kennzeichnend für eine Bildwelt, in der Realität zur Poesie wird, zu einer Poesie des Idyllischen. Die Landschaft, wie sie dieser Künstler malt, gebiert Träume, erfüllt Sehnsüchte. Realität, in der sich Erinnerungen, Gesehenes und Erfundenes durchdringen, wird zu einem kleinen Zauberreich farbiger Erscheinungen. Was Werner von Boltenstern zelebriert, ist eine höchst differenziert vorgetragene Koloristik, in der es die feinsten Nuancen zu registrieren gibt. Und doch, meine Damen und Herren, mündet so vieles in den Ölen und Aquarellen in einen atmosphärischen Realismus von Raumerleben und Stillehalten, vom Schauen und Gestalten einer Wirklichkeit, die es – neben der unseren – auch noch gibt. So werden diese Bilder zu poetisierenden Dokumentationen dessen, was den Menschen und der Landschaft immer mehr verloren gehen wird. Diese kleinen Arbeiten, malerischer Lyrismus, könnten uns in ganz stiller Weise bewusst machen – und hoffentlich schaffen sie das – wie man uns programmiert : zu immer mehr Fortschritt und Technik und schliesslich Zerstörung. Davor warnen diese Bilder allein dadurch, dass es sie gibt. Das ist ihr verborgenes Ethos.
Es zu entbergen, offenzulegen sehe ich als wichtig an. Denn die Kunst visualisiert oder veranschaulicht immer auch die Würde des Menschen. Deshalb geht Kunst nicht nur die Künstler, sondern uns alle an ; heute und hier die Kunst der Boltensterns.
Günther Wirth